RALF AHLERS / NEUE STRASSE 8 / 38533 VORDORF /
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Die Entscheidung, mir ein zweites Motorrad zu kaufen, habe ich mir wirklich nicht leicht, um nicht zu sagen besonders schwer gemacht. Die Gründe dafür waren vielfältig, aus meiner Sicht absolut plausibel und natürlich für jedermann nachvollziehbar. Aber ich mache mir nichts vor. Manch anderer würde es schlicht Ausreden nennen.
Als eher strategisch, denn emotional ausgerichteter Mitfünfziger suche ich, sehr zum Leidwesen meiner Umwelt, so lange ich denken kann, für alles einen Nutzen und tieferen Sinn, den ich in diesem Fall auf Anhieb leider nicht finden konnte. Egal wie sehr ich mich auch angestrengt habe. Mit einem „ich mache das jetzt mal“, hatte schon ich schon immer Schwierigkeiten. Bei Investitionen die fünfstellig sind sowieso und grundsätzlich.
Ich habe ein zeitlich ausgefülltes Privatleben auch ohne die Berufstätigkeit, eine BMW R 1250 GS, dessen Nutzen sich mit meinen Erwartungen auf das vortrefflichste ergänzt wie bei keiner anderen Maschine vorher und schließlich eine überschaubare Restfreizeit. Augenscheinlich, nein faktisch, fehlt mir also die zusätzliche Zeit, um ein zweites Motorrad auch nur angemessen zu bewegen und eine wertschöpfende Begeisterung daraus zu ziehen. Ein weiteres Motorrad zu besitzen, nur um mein Ego zu streicheln, mit Freunden gleich zu ziehen, oder nach unzureichender Nutzung wieder zu verkaufen, war nicht mein Ding. Aufwand, Nachhaltigkeit, Wertverlust, organisatorischer Aufwand, ... sind, neben anderen Verschwendungsarten, keine Alternative für mich, weshalb ich mich bis dato vehement gegen diese Emotion gewehrt habe.
Aber was ist jetzt passiert? Seit dem Erscheinen der BMW RnineT und deren Ableger Ende des Jahres 2013, hat mich dieses Motorrad emotional angefixt. Ich hatte seitdem immer ein Augenmerk auf die Weiterentwicklung der Modellpalette, war aber angesichts der damals in meinem Besitz befindlichen R 1200 GS Rallye, nie ernsthaft in Wechsellaune. Meine Argumentation dazu habe ich ja schon erklärt. Ich war auch nie der Typ Motorradfahrer, der sich mit CaféRacern, Roadstern, oder Retrobikes beschäftigt hat, zumindest nicht über ein gesundes Grundinteresse hinaus. Meine bisherige Leidenschaft ließ sich hervorragend über eine gute Reisetauglichkeit der Motorräder befriedigen, mit einer Prise Affinität für das Offroadfahren. Ich bin halt schlicht gestrickt.
So weit, so gut. Mit der Vorstellung der neuen BMW Modell- und Farbpalette für 2019, im Herbst des Jahres 2018, bin ich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeflippt, nein, ich hatte tatsächlich Schnappatmung. Die offizielle Vorstellung der R nineT als „Option 719“, in den Farben Marsrot metallic matt / Cosmicblue metallic matt (Tank, Sitzhöcker und Vorderradkotflügel) war für mich unvorstellbar emotional und hat mich von dem Moment an nicht mehr losgelassen. Ein so wunderschönes, kompaktes, stark polarisierendes und mit dem Boxer als Antriebsquelle wirkendes Motorrad, hatte ich lange nicht gesehen. Niedrig, schlank, auf ein Minimum reduziert, von der Fachpresse seit Jahren gelobt, mit Sitzhöcker und wechselbarer Ein- Personen Zulassung. Zu diesem Zeitpunkt hatte kein anderer Hersteller ähnlich faszinierende Modelle im Angebot.
Zack! Von nun an musste ich dieses Motorrad besitzen, unbedingt! Aber nicht sofort, weil, ... Ach was, ich erwähnte es bereits. Von der Vorstellung „meiner“ RnineT bis zum tatsächlichen Vollzug sind weitere eineinhalb Jahre verstrichen. Und in diesem Moment höre und sehe ich euch stöhnen, wundern und enttäuscht das Haupt senken. Ja, es war eine sehr lange Schwangerschaft. Im September des Jahres 2020 habe ich dann den letztmöglichen Schritt getan. Ich habe nach endlos langen Recherchen endlich zugegriffen. Viele Monate lang hatte ich die Benachrichtigungsfunktionen gängiger Motorrad Verkaufsportale aktiviert, um mir das beste Angebot zu sichern. Das offensichtlich beste Angebot erhielt ich schlussendlich in Frankfurt von privater Hand. Viel Alternativen hatte ich nicht, denn die Auswahl dieses 719er Modells war, vorsichtig formuliert, sehr schmal. Aber mittlerweile war ich süchtig. Ich musste dieses Motorrad besitzen. Ich betrachtete meinen Entzug, nur ein Motorrad zu besitzen, als gescheitert. Fotos wechselten den Besitzer, Telefonate auch.
Sollte ich jetzt 400 Kilometer bis nach Frankfurt fahren, nur um das Motorrad vorher anzuschauen? Wohl kaum. Ich vertraute dem Verkäufer und wir trafen uns auf der Hälfte der Strecke für den Tausch von purer Leidenschaft gegen schnöde Barmittel.
Auch diese BMW war, wie viele andere im Internet, eine der Maschinen, die man anscheinend nur besitzen wollte, aber gefahren hat man sie nicht. Der Verkauf war für den ehemaligen Besitzer anscheinend sehr schmerzhaft und emotional, ließ er doch keine Gelegenheit aus, das auch leidvoll zu erzählen. Grauenhaftes bla, bla, bla! Als ich sie übernommen habe war sie nicht einmal besonders sorgfältig geputzt. Und die paar Kilometer sind faktisch kein Beweis für ein Motorrad, welches ich gerne besessen und auch genau so gerne gefahren habe. Ein Laiendarsteller, um den Verkaufspreis oben zu halten. Aber jeder tickt halt anders und ich brauchte den Stoff. Für den einen ist der Besitz schon die größte aller möglichen Glückseligkeiten, für den anderen das Fahren. Egal, denn in meiner kurzen Zeit bis zum Ende des Saisonkennzeichens, Ende Oktober, habe ich mehr Kilometer zurückgelegt als der Vorbesitzer in etwas mehr als einem Jahr. Gekauft habe ich sie mit 1.700 Kilometern auf dem Tacho, in die Wintergarage habe ich sie mit 3.700 Kilometern geschoben.
In dieser Zeit habe ich vor dem Druck auf den Starterknopf immer wieder für ein paar Minuten einfach nur auf dem Motorrad gesessen, mit der flachen Hand über den makellosen, gebürsteten Alutank gestrichen und mich darauf besonnen, welches Glück mir widerfahren ist, meinen Traum erfüllt zu haben. Leistungssportler nutzen diesen Moment der inneren Ruhe, um sich den weiteren Ablauf des Wettkampfes noch einmal vor Augen zu führen. So weit möchte ich bei mir nicht gehen. Kritiker wie meine liebe Ehefrau meinten jedoch, ich würde aussehen, als würde ich vorher beten. Ehe ich abschätzen konnte was dieser Besitz für meine weitere Zukunft als Motorradfahrer bedeutet, habe ich mich an die völlig neue Fahrweise eines Roadsters herangetastet. Kurzer Radstand, niedriger Schwerpunkt, neue Sitzhaltung, Kurvenverhalten, … Es gab nichts, was mit meiner großen GS ansatzweise vergleichbar war.
Als ich die Maschine das erste Mal zur Probe gefahren bin, hat mich neben der Optik die Tatsache begeistert, beim gemütlichen Fahren mit der linken Hand den Asphalt berühren zu können. Die Maschine ist sehr kompakt, ohne mich in eine sportliche Haltung zu zwingen. Und der Sound? Gänshaut! Das sonore blubbern der Acrapovic Doppelauspuffanlage aus Edelstahl, verleitet mich zu extrem untertouriger und zurückhaltender Fahrweise. Außerdem möchte ich "gesehen“ werden. Nicht um meiner selbst willen, sondern weil jeder die Zeit erhalten sollte, diesem tollen Motorrad einmal hinterher schauen zu können und sein Gehör danach auszurichten. Das unterwegs sein mit diesem Motorrad ist um so vieles intensiver als mit meiner GS, dass genau dieser Mangel an beabsichtigter, werksseitig reduzierter Perfektion und Ausstattung seinen ganz besonderen Reiz erfährt. Wenn Autofahrer während einer Rotphase an der Ampel zu mir herüberschauen, respektvoll die Mundwinkel verziehen und den Daumen heben, dann weiß ich sicher, ich habe alles richtig gemacht. Als Profi tut man unbeeindruckt, nickt verständnisvoll und selbstverständlich, aber innerlich feiere ich mich.
Vielleicht bin ich mit meinen 1,90mtr. eine Winzigkeit zu groß und faktisch ist die Sitzbank nicht besonders üppig gepolstert, oder besonders bequem. Und natürlich fehlt der Windschutz und andere gewohnte Gimmicks. Aber es ist bei diesem Motorrad völlig egal. Dieses Motorrad ist eine rein emotionale Entscheidung und hat mit rationaler Herangehensweise nichts zu tun. Die zur Verfügung stehende Zeit hat ausgereicht, um mir ein Urteil zu möglichen Verbesserungen zu erlauben, die ich auch gleich umgesetzt habe...
Der Heckrahmen für den Soziusbetrieb wurde nach einer Probefahrt mit meiner lieben Ehefrau gleich demontiert. Sie kann hinten [glücklicherweise] nicht gut sitzen und ich möchte auf diesem Motorrad nur alleine fahren. Also weg damit, schließlich haben wir noch die GS. Es folgten eine Lenkererhöhung, ein Windschild aus gebürstetem Aluminium, eine neue Sitzbank, ein verkürztes Heck von WUNDERLICH, Rückspiegel für die Lenkerenden von RIZOMA, Brems- und Kupplungsdeckel wurden gegen die 719er Serie getauscht, eine Verkleidung für den Ölkühler, ….
Weitere Veränderungen sind gedanklich schon durchgespielt und werden Stück für Stück realisiert. Der Grundgedanke eines Roadsters, im Sinne der RnineT, ist ja die schlanke, minimalistische Ausstrahlung. Im Grunde genommen besteht die große Kunst jetzt darin einige Teile TÜV konform zu verändern bzw. abzubauen, anstatt immer neue Teile zu montieren. Die grundlegendsten Veränderungen wird man diesbezüglich wohl nur mit einer Radikalkur erreichen. Die eingeschränkte Alltagstauglichkeit ist dann u.U. in Kauf zu nehmen. Aber so weit soll es bei mir nicht gehen.
Ein paar Motorräder hatte ich schon in meinem Besitz, die letzten Jahre aber ausschließlich die Marke BMW. BMW hat sich aus meiner Sicht herausragend entwickelt und vieles richtig gemacht. Mit einem tollen Händler an meiner Seite und einer reibungslosen Nutzung der Maschinen haben die Bayern mich zu einem großen Fan gemacht. Mit dem Kauf der RnineT hat sich mein Empfinden für echtes und leidenschaftliches Motorradfahren aber noch einmal deutlich erhöht. Der Slogan "Aus Freude am Fahren", wäre es mir mittlerweile Wert auf die Haut tätowiert zu werden.
Angetrieben wird meine Maschine vom Luft-/ölgekühlten Boxermotor in der Euro 4 - Homologation. Wir reden hier jedoch nicht von einem alten Motor im herkömmlichen Sinne, sondern von einem Motor, der in seinen Lebensäußerungen schon ein tolles Retro-Flair versprüht und dem der Unterschied zum Euro 5 Motor allein schon durch die Klangfarbe anzumerken ist. Ganz viele Besitzer eines aktuellen Motors fragen in einschlägigen Foren mittlerweile verstärkt nach einer anderen Auspuffanlage, um zumindest den kraftlosen Klang des neuen Boxers etwas zu überdecken. Die Leistungsdaten meines Motors sind vielversprechend und eines unverkleideten Roadsters nach meinem Empfinden mehr als angemessen. Wir reden von einem 1170ccm großen Boxeraggregat mit 110 PS bei 7.550 Umdrehungen und 116 Nm bei 6.000 Umdrehungen. Ich besitze alternativ noch meine 1250er GS mit 139 PS und stelle beim Wechsel der Maschinen immer wieder fest das die reine Motorleistung als Zahl für mich überhaupt nichts mit echter Fahrfreude zu tun hat. Insofern sind die 110 PS der RnineT ein theoretischer Wert für mich.
Der Motor startet charaktervoll und ohne Verzögerung. Und wenn der Boxer erst einmal läuft und dem ganzen Motorrad mit jedem Dreh am Gasgriff einen leichten Schlag versetzt, dann fasziniert mich das jedes Mal aufs Neue. Ich entdecke mich ganz häufig dabei, dass ich an der Ampel - auf die Grünphase wartend - immer wieder mal mit einem leichten Gasgriff diese Vibrationen und das Schütteln der Maschine künstlich provoziere. Selbst aus dem serienmäßigen Auspuff meiner "doppelläufigen" Acrapovic Anlage klingt eine herrliche Symphonie aus Benzin, welches sich kraftvoll in den Zylindern entzündet. Das Geld für eine neue Anlage kann man sich bei den Euro 4 - Modellen getrost sparen. Und obwohl die Fahrwerkskomponenten edel aussehen und viel versprechen, hadere ich bis heute mit der optimalsten Einstellung. In der Front arbeitet eine Upside-Down Gabel mit 46mm Durchmesser und im Heck ein Zentralfederbein, das sowohl in Federvorspannung als auch Zugstufendämpfung einstellbar ist. Das klingt toll, ist aber für mich immer noch deutlich zu hart und unsensibel, oder viel zu schwammig. So verkehrt liege ich wohl nicht, denn viele Besitzer wechseln ihre Fahrwerkskomponenten und können anschließend nicht aufhören zu schwärmen.
Doch völlig losgelöst vom technischen Schnickschnack und schnöden Zahlenspielereien sind es die Emotionen, die mir in dieser Intensität noch nie untergekommen sind. In einer meiner Lieblingszeitschriften, die leider wieder vom Markt verschwunden ist, habe ich das erste Mal von sogenannten "Petrolheads" gelesen. Ein "Petrolhead" ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für jemanden, der eine sehr leidenschaftliche Begeisterung für Autos, Motorräder und andere motorisierte Fahrzeuge hat. Diese Menschen sind sehr interessiert an allem, was mit Motoren und Technik zu tun hat. Man könnte sagen, sie leben und atmen die Welt von Fahrzeugen jeglicher Coleur.
Wer sich intensiver mit diesem, augenscheinlich, so unaufgeregten Substantiv beschäftigt, für den geht es nicht nur um die Technik und das Verständnis dafür, sondern um eine Lebensphilosophie und das Verstehen darüber, was Motorradfahren bedeuten kann.
In den vergangenen achtunddreißig Jahren hat es kein anderes Motorrad geschafft, mich so für das schlichte, auf das Wesentliche, nicht leistungsorientierte Fahren zu begeistern. Ich bewege das Motorrad nicht nur anders, ich interessiere mich plötzlich für Messen mit klassischen Motorrädern, Custom Shows und Veranstaltungen wie das Glemseck 101, Wheels&Waves und das in Deutschland ansässige Wheels&Wake. Damit einhergehend hat sich mein Kleidungsstil grundlegend verändert. Nicht weniger sicher, aber weniger bunt und hin zu klassischen Elementen.
Mittlerweile sind zwei Nachfolgemodelle auf dem Markt etabliert. Mit dem Erscheinen der neuen Modelle wurde die Strategie des Herstellers, weiterhin auf das Motto „Heritage“ zu setzen, in allen Medien belohnt. Und das ist gut so. Und auch wenn es überheblich klingen mag, weil die Nachfolger in der Wertigkeit und Ausstattung deutlich zugelegt haben, eine so mutige Farbkombination, mit dem Hinweis auf die existierende 719er Designpalette, hat es nicht wieder gegeben. Das gute Stück wird bei mir alt, definitiv.
Und mehr als ein Motorrad geht immer, versprochen…